„Sei glücklich, älter wirst du sowieso“ – Diane Hielscher über Glück & gelingendes Älterwerden
- Redaktion
- 31. März
- 9 Min. Lesezeit

Wie gelingt gutes Altern in einer Welt, die Jugend oft glorifiziert? Radiomoderatorin, Autorin und Neurowissenschafts-Expertin Diane Hielscher findet klare Worte – und liefert kluge Antworten. In ihrem neuen Buch verknüpft sie aktuelle Erkenntnisse aus Glückspsychologie, Achtsamkeit und Neuroplastizität mit einer positiven, machbaren Vision: Älterwerden als bewusster, kreativer und selbstwirksamer Prozess.
Für GLOW spricht sie über mentale Gesundheit, die richtige Portion Dopamin und die Lust auf neue erste Male – ein Gespräch über Selbstwirksamkeit, Resilienz und warum Longevity mehr ist als faltenfreie Haut: nämlich ein Leben mit Tiefe, Energie und Freude.
Diane, dein Buch ist ein Plädoyer für ein glückliches Älterwerden – was war für dich persönlich der Moment, in dem du gemerkt hast: Jetzt will ich genau darüber schreiben?
Ich bin selbst 45 und als Frau ist man in diesem Alter ja bereits biblisch alt, ich habe mich also selbst gefragt, was ich brauche, um glücklich zu altern. Ich beschäftige mich nämlich schon seit acht Jahren intensiv mit positiver Psychologie, Glücks- und Achtsamkeitsforschung, das heißt ich bin ja sowieso im Thema. Gleichzeitig haben wir für unseren Podcast „Achtsam“ bei Deutschlandfunk Nova immer mal wieder die Anfrage bekommen, etwas übers achtsame Altern zu machen. Da wir bei Nova aber der Jugendsender vom DLF sind, entspricht das gar nicht unserer Zielgruppe, ich habe aber gesehen, dass es einen Bedarf gibt und habe deswegen dieses Buch geschrieben.
Was denkst du ganz grundsätzlich: Warum altern wir überhaupt? Warum verläuft das Leben nicht – wie bei Benjamin Button – rückwärts, sodass wir mit all unserer Weisheit jünger würden? Was macht das Vorwärtsgehen mit uns?
Altern ist Entropie, alles im Universum zerfällt oder anders gesagt: wird unordentlich. Entropie beschreibt in der Physik den natürlichen Vorgang, dass alles im Universum mit der Zeit ungeordneter wird, Energie verteilt sich, Strukturen lösen sich langsam auf. Auch unser Körper ist mit der Zeit weniger geordnet und stabil. Wir sind im Grunde genau wie die Atome, aus denen wir bestehen, wir zerfallen. Nur dass wir mit Krafttraining, Ernährung und anderen Gedanken Ordnung aufrechterhalten können, das können unsere Atome nicht.
Die Geschichten, die wir uns selbst erzählen, formen unser Denken. Welche Geschichte übers Älterwerden hast du für dich selbst neu geschrieben? Kannst du das überhaupt in 2,3 Sätzen wiedergeben?
Ich hatte früher auch diese, ich sag mal „kapitalistischen“ Geschichten im Kopf, sowas wie: „Du wirst automatisch hässlich, langsam, langweilig, unbeweglich und alles wird grau und öde sein.“ Es ist immer noch schwer für mich, mich gegen diese Geschichten zu wehren. Aber ich sehe jetzt immer mehr super schöne, dynamische und wirklich glückliche Menschen über 50, über 60, 70 oder 80 bei Social Media und trainiere mein Gehirn immer mehr in diese Richtung: Das geht auch! Ich werde bis ich sterbe Yoga machen, wenn nichts Dramatisches dazwischenkommt. Ich werde weiterhin Krafttraining machen und Protein essen, ich achte auf 30 Pflanzen pro Woche, damit mein Darm gesund ist und ich weiß, wie wichtig Beziehungen und Verbundenheit fürs gute Altern sind. Ich sehe Jane Fonda, wie viel Kraft und Freude sie hat und wie sie mit über 80 eine der berühmtesten Klima Aktivistinnen ist, sie fühlt sich sinnvoll und gebraucht, ich liebe sie!
Du schreibst: „Alles, was wir in unserem Leben tun, tun wir, weil wir uns irgendwie fühlen (wollen).“ Gleichzeitig hat man im Älterwerden manchmal das Gefühl, dass einem weniger Impulse bleiben, weniger „erste Male“, weniger Losgehen. Ist das eine biologische Realität – oder vor allem ein Thema der inneren Perspektive?
Das passiert nur in unserem Kopf. Wir denken „Kenn ich schon.“ oder „Weiß ich schon.“ und berauben uns damit selbst der Freude im Leben. Im Buddhismus nennt man es den „Anfängergeist“, den wir mit Achtsamkeit kultivieren können. Wenn ich mit 45 im Frühling in die Sonne blinzel, die Vögel höre und die Blüten an den Bäumen sehe, denke ich nie „Kenn ich schon, wie langweilig!“ Ich bin immer fasziniert, dankbar und bestaune die Schönheit der Welt, auch nach 45 Frühlingen. Genau das ist - egal in welchem Alter - ein Garant für Glück. Auch übrigens, wenn man in einer schweren Phase im Leben steckt. Im Moment sein, atmen und wahrnehmen, was ist, hilft immer. Wenn wir denken, ich hätte alles schon erlebt, dann werde ich auch nichts Neues ausprobieren. Und umgekehrt: Je mehr ich ausprobiere, desto aufregender ist mein Leben und desto mehr traue ich mich auch. Niemand, der denkt „Ich weiß schon alles“, hat alles ausprobiert: Stricken, Kalligrafie, Programmieren, Gärtnern, Malen, Möbel bauen, Fahrräder reparieren, Kinderbücher schreiben, Nähen, eine NGO gründen. Wenn wir neugierig auf das Leben sind, wird das Leben neugierig auf uns sein. Wir gestalten es nämlich selbst: Was will ich heute lernen und welches Abenteuer will ich erleben? Es gibt so viel zu entdecken!
Du schreibst, dass wir oft unbewusst für schlechte Stimmung in unserem System sorgen – durch Gedanken, alte Glaubenssätze oder Ängste. Wie können wir unser eigenes System bewusst „überlisten“ – also ohne äußere Hilfe lernen, uns selbst wieder in Balance zu bringen? Geht das ohne Hilfe?
Man kann es versuchen, wenn es nicht klappt, können wir immer noch gucken, ob wir uns Hilfe holen, eine Therapie machen oder ein Coaching. Aber wir haben unzählige Möglichkeiten: wir können mit unseren Gedanken arbeiten, unseren Gefühlen und unserem Körper. Meditieren hilft, Sport, wir können unser Nervensystem regulieren lernen oder Atemübungen machen. Für manche funktioniert Breathwork, für andere Yoga, QiGong oder Boxen. Wir können uns reflektieren, Dinge aufschreiben, unsere Werte finden und intentional fühlen. Ideen dazu gibt's übrigens auch völlig kostenlos in meinem Podcast „Länger gut leben“.
„Alles hängt an unserer Vorstellungskraft“, schreibst du in deinem Buch. Wenn wir jeden Tag schöne Bilder auf Instagram sehen – von Natur, Genuss, Schönheit, Inspiration – ist das dann nicht auch eine Art kollektive Manifestation? Können wir uns durch positive Bilder eine neue, schönere Welt erschaffen?
Leider ist bei Social Media das Gegenteil der Fall. Die meisten denken ja, wenn sie diese schönen Bilder sehen „Das Leben der anderen ist besser, als meins!“, „Bei mir klappt nie was!“ und so weiter. Es gibt Studien darüber, dass wir Menschen uns eben leider nicht inspiriert fühlen bei Instagram, sondern neidisch. Wenn ich die Glaubenssätze habe, dass all das nur für andere erreichbar ist und ich sowas nicht verdient habe, dann werde ich eher verbittert, als inspiriert sein. Deswegen müssen wir zuerst unser Gehirn trainieren, bevor wir uns die bunten, perfekten Bilder anschauen. Denn wenn ich meine Werte, Ziele und Prioritäten kenne, bin ich auch nicht so anfällig für Neid und Schmerz. Ich muss erst meinen inneren Kompass ausrichten. Wenn ich persönlich zum Beispiel Frauen mit perfektem Body auf Yachten tanzen sehe, macht das überhaupt nichts mit mir, weil ich das nicht will. Die Bilder in meinem Kopf, zu denen ich strebe, sind ganz andere. Ich möchte in der Natur meditieren, Lesen, Bücher schreiben, am Meer sitzen und lecker kochen. In meinem Kopf ist nirgends eine Yacht, deswegen blende ich das komplett aus. Diese „Arbeit“ dürfen wir aber erst mit uns selbst machen. Es macht uns resilient gegen Neid und Gefühle der Unterlegenheit. Ich fühle mich Menschen mit Yachten nämlich auch nicht unterlegen.
Was hältst du von all den Selfcare-Routinen, Hacks und Ritualen, die momentan so populär sind? Eher hilfreich – oder eher Druck?
Auch der Druck hier ist völlig selbst gemacht und nur in unserem Kopf. Niemand zwingt jemanden, Selfcare zu machen. Wenn ich bei Instagram jemanden sehe, der gerade seine Masterarbeit schreibt, fühle ich dann den Druck, auch eine Masterarbeit zu schreiben? Oder wenn jemand einen Kuchen backt, muss ich dann auch backen, fühle ich den Druck da auch? Ich nicht. Wir können aufhören, das Verhalten anderer auf uns zu beziehen. Ich liebe Selfcare und gucke auch anderen gerne dabei zu, weil ich mich hier auch einfach inspirieren lasse. Das heißt nicht, dass ich das alles machen muss oder will. Die Macher von Social Media wollen, dass wir uns vergleichen, dass wir neidisch sind und Druck aufeinander ausüben. Es ist ein Akt der Befreiung, diesen Druck nicht zu spüren und einfach alle das machen zu lassen, worauf sie Lust haben. Auch das geht nur, wenn wir unseren eigenen Kompass gut ausgerichtet haben.
Wenn du an deine eigene Zukunft denkst: Worauf freust du dich?
Auf alles! Ich will gerne mit KI Programmieren lernen, ich will ganz viel auf Bühnen stehen und unsere transformativen LifeXLab-Abende machen, wo wir zu all dem Übungen machen und ein schönes Konzert hören. Ich will irgendwann nach Spanien auswandern, ich will endlich Spanisch sprechen. Ich habe eine Million Kochrezepte gespeichert, die ich ausprobieren will. Ich freue mich auf die nächste Breathwork-Session, ich will mal wieder Tanzen, ich habe jetzt schon eine Idee für ein neues Buch. Ich baue grad die Plattform für Transformation auf: LifeXLab und das macht mir irre viel Spaß! Mein Leben ist ein einziges Abenteuer und wimmelt nur so von „ersten Malen“.
Wir fanden besonders das 3. Kapitel in deinem Buch sehr spannend: Flow, Kreativität & Selbstwirksamkeit. „Wenn wir im Flow wären, könnten wir alle Probleme der Menschheit lösen“, schreibst du dort. Was braucht es deiner Meinung nach, damit wir kollektiv wieder mehr ins Tun kommen – statt uns berieseln zu lassen?
Wir können uns gegenseitig wieder mehr Geschichten übers Tun erzählen. Im Moment formen wir unser Gehirn so, dass Konsumieren das einzige ist, was wir tun können. Es gibt in allen großen Medien „Kino-Experten“ oder „Serien-Expertinnen“, wir erzählen uns jeden Tag, was wir konsumieren können. Aber wo inspiriert mich jemand zum Lernen? Wo erfahre ich etwas darüber, wie ich Solarpanels installiere, nähe, Bücher schreibe, Musik produziere, eine NGO gründe, eine App programmiere, ein Patent anmelde, ein Unternehmen gründe? Das wird behandelt, als wäre all das „special interest“ und wenn man Medien für eine Masse von Menschen machen will, dann müssen wir uns auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen und das ist: Konsumieren, sich aufs Wochenende freue, auf die Mittagspause und den Feierabend. Etwas anderes hören wir bei einem durchschnittlichen Radiosender in Deutschland nicht. Ich bin ja Radiomoderatorin und bin davon so so genervt, dass ich die Plattform gegründet habe, mit der ich genau das ändern will: LifeXLab.de. Denn wir formen eben unser Gehirn mit den Inhalten, die wir konsumieren. Stecken wir Inspiration rein, kommt mutiges Handeln raus. Stecken wir Katastrophen rein, kommt Hilflosigkeit raus.
Flow statt Dauer-Dopamin durch TikTok, Serien oder Shopping: Was sind deine drei persönlich liebsten Aktivitäten, um in den Flow zu kommen – auch an einem schlechten Tag?
Sport: Yoga, Krafttraining, Trampolinspringen. Lesen und schreiben: Ich liebe Bücher. Meine lustige Familie in die Natur schleppen und bei einer kleinen Wanderung dumme Witze machen und rumalbern und meditieren. Aber auch malen, Projekte planen, Collagieren, Kochen, Podcasts aufnehmen, ach, es gibt so viel auf meiner Liste. Je größer die Liste, desto mehr Möglichkeiten haben wir, in einen gesunden Zustand zu kommen, in dem wir uns gut fühlen.
Du schreibst, dass alles, was wir tun, letztlich ein Versuch ist, etwas zu fühlen. Was wäre deiner Meinung nach ein gesundes, langfristiges „Zielgefühl“ fürs Leben – gerade, wenn wir älter werden?
Neugier.
Was kann ich tun, wenn ich das Gefühl habe, innerlich stillzustehen – und keinen Zugang mehr zu meiner Neugier oder Kreativität finde?
Rausgehen und etwas machen, jemandem helfen, loslegen. Wir sind alle viel zu sehr in unserem Kopf und hadern: „Will ich das wirklich machen? Soll ich das machen? Ich fühle es nicht…“ Geht raus, macht was. Helft bei der Arche, pflanzt Bäume, malt ein Bild, lernt Rollschuhlaufen oder baut Hochbeete. Es ist völlig egal. Wenn es das nicht ist, dann eben etwas anderes. Wir erfahren uns nur im Tun und nicht im darüber nachdenken. Erst wenn wir den ersten Schritt machen, können wir den zweiten sehen. Mit jeder Erfahrung werden wir mutiger und kreativer. Künstler warten nicht auf Kreativität, sie tun etwas und werden dadurch kreativ. Wir denken oft, die Muse müsste uns küssen. Das kann sie aber nur, wenn wir einen Pinsel schwingen und uns schmutzig machen, vorher wird sie nicht zu uns kommen. Wir müssen es nicht fühlen, wir müssen es nur tun.
In deinem Buch geht es auch um die Erhöhung des Dopaminspiegels. Man könnte sagen: Es gibt „gutes“ Dopamin durch Kreativität, Erschaffen, Tiefe – und „schnelles“ durch Ablenkung, Social Media etc. Heißt das im Umkehrschluss: Wer regelmäßig seine Dopaminquellen gut wählt, bleibt im Kopf (und vielleicht auch körperlich) länger jung?
Exakt das! Unser Körper holt sich sein Dopamin sowieso, wir bestimmen das „wie“. Trinken wir Schnaps oder gehen wir schwimmen? Machen wir eine Radtour in der Natur oder nehmen wir Drogen? Müssen wir uns ein teures Auto kaufen oder können wir lernen, in Stille zu sitzen? Halten wir einen Vortrag auf der Bühne oder gehen wir eine rauchen? Lernen wir was Neues oder scrollen wir 2 Stunden auf TikTok? Stellen wir ein fettes Projekt auf die Beine oder fangen wir einen Streit an? Wir können einfach entscheiden - und ja, ich entscheide mich manchmal bewusst für Rotwein.
Ganz persönlich: Was war dein letzter echter Glow-Moment – dieser kleine Augenblick, der dich einfach zum Strahlen gebracht hat?
Der Frühlingsmoment heute Morgen, die Vögel sangen so laut und aus vollem Herzen, die Blüten waren strahlend weiß und pink und die Sonne hat auf meiner Haut gebratzelt. Es war herrlich!

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